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Zusammenfassung

Dissertation

Zusammenfassung

Das Interesse an materiellen Zeugnissen der frühesten Geschichte des eigenen Landes hat in Hessen-Kassel bereits eine lange Tradition. Schon 1709 ließ der damalige Landgraf Karl auf der sogenannten Maderheide bei Gudensberg mehrere endneolithische Grabhügel öffnen, die damals als Bestattungsorte der Chatten - die als Stammvolk der Hessen galten - angesehen wurden. Die Fundstücke wurden gesichert, in einer wissenschaftlichen Abhandlung beschrieben und der landgräflichen Kunstsammlung einverleibt.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wuchs, gefördert von den regierenden Landgrafen, in Wissenschaftler- und Historikerkreisen auch das Interesse für die mittelalterliche Geschichte des eigenen Landes. Schriftliche und nicht-schriftliche Überbleibsel aus den zu erforschenden Zeiten wurden als wichtige Geschichtszeugnisse erkannt. Besonders Wappensteine, Grabmäler und Ruinen sollten als Quellen ausgewertet werden - daher galten sie nun als beachtenswert und grundsätzlich auch als erhaltenswürdig, bevor noch irgendjemand über ihren möglichen Kunstwert nachgedacht hatte.

Um den historischen Wert der Bildwerke des Mittelalters ging es auch dem Altertumskundler R. E. Raspe, der 1768 seinem Dienstherrn Friedrich II. vorschlug, ein "gothisches Antiquitaeten-Cabinett" einzurichten. Er wollte mit Objekten aus landgräflichem Besitz, besonders aus den landgräflichen Kunstsammlungen, deren Betreuung ihm übertragen war, einen Raum einrichten, in dem das Mittelalter als eine Epoche der Geschichte Deutschlands bzw. Hessens veranschaulicht werden sollte. Das Kabinett wurde zwar nicht eingerichtet, aber es wurde eine gesonderte Sammlung begonnen, die den Titel "Antiquités trouvées en Hesse" erhielt.

In der Programmschrift der Kasseler gelehrten "Société des Antiquités", die Friedrich II. 1777 gründete, heißt es, daß man sich nicht nur die Erforschung und Beschreibung der antiken Altertümer, sondern auch die der "Antiquités du Moyen Age" zur Aufgabe machen wollte. Dabei schloß man sich an die älteren Traditionen der durch Montfaucon mitbegründeten Mediävistik und der umfassenden Altertumskunde an.

Die Aufwertung des Mittelalters zu einer erforschenswürdigen Epoche und die damit verbundene Erkenntnis vom historischen Wert der im Lande erhaltenen materiellen Geschichtszeugnisse mündeten in dem Erlaß der Verordnung vom 22. Dezember 1780, die oft als erstes hessisches Denkmalschutzgesetz bezeichnet worden ist.

Diese Verordnung "zum Schutze der Monumente und Alterthümer" ist eine in weiten Teilen wortgleiche Kopie des vom 10. April 1780 datierenden Ausschreibens des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach, was, obwohl beide Texte seit langem publiziert sind, bisher nicht festgestellt worden ist. Sie betrifft Werke der Malerei und Bildhauerei und vor allem Münzen und Medaillen, also mobile Objekte, die sowohl vor Zerstörung als auch vor Verschleppung außer Landes bewahrt werden sollen; Bauwerke werden nicht erwähnt. Die Verordnung ist kein Denkmalschutzgesetz im heutigen Sinne, sondern ein Gesetz zur Sicherung von materiellen  Geschichtszeugnissen - die alten Werke werden um ihres Informationswertes, nicht um ihres etwaigen Kunstwertes willen geschützt.

Die notwendigen Bedingungen für die Entwicklung eines anderen Verständnisses vom Wert mittelalterlicher Bildwerke sowie für die Einbeziehung der Bauwerke waren zum einen die Relativierung der dominierenden klassizistischen Kunst-Geschmacksnormen und zum andern die Erkenntnis, daß nicht die aus einem alten Kunstwerk zu gewinnende Information das eigentlich Wichtige ist, sondern das Objekt selber, das Geschichte "erlebt" hat und damit Geschichtlichkeit vergegenständlicht.

In den "gothischen" Zierbauten der Landschaftsgärten des späten 18. Jahrhunderts wurden in Hessen zum ersten Male sowohl gotische Formen als ästhetisch genießbar als auch (fingierte!) Geschichtlichkeit als Stimmungswert erlebbar vorgestellt.

Danach wurden die im Lande erhaltenen mittelalterlichen Bauwerke und Bildwerke sozusagen zum zweiten Male entdeckt. Der Marburger Theologe und Philosoph Karl Wilhelm Justi (1767-1846) widmete sich Zeit seines Lebens der Beschreibung hessischer Kunstdenkmale. Wenn er über Bauwerke schrieb, legte er besonderen Wert auf die Schilderung der von historischen Assoziationen geprägten Stimmung, die für ihn den Ort erfüllte; wenn er Gemälde oder Skulpturen vorstellte, versuchte Justi das Charakteristische an Formen und Inhalten zu erfassen und aus der Entstehungszeit des jeweiligen Stückes zu erklären.

Durch seine zahlreichen Aufsätze über hessische Kunstdenkmale vermittelte K. W. Justi seinen Lesern den Eindruck, das Land wäre voller Objekte, für deren Erfassung und Schutz es sich einzutreten lohnte. Und er begnügte sich nicht damit, anderen den Wunsch nach Denkmalerfassung und Denkmalschutz zu suggerieren, sonder er forderte beides auch selber explizit.

Der gegen Frankreich gerichtete deutsche Kulturpatriotismus der Zeit nach den Befreiungskriegen, der oft als auslösender Faktor oder als Triebfeder der Entwicklung des Denkmalschutzes in Deutschland angeführt wird, spielte in der von Justi angeführten Bewegung für die Aufwertung und den Schutz der hessischen Kunstdenkmale nur eine untergeordnete Rolle. Das lag daran, daß bei der Betrachtung hessischer Kunstprodukte keine Zuschreibungs- und Abgrenzungsprobleme gesehen wurden, die auf eine kulturelle Konkurrenz mit Frankreich hinausgelaufen wären (wie etwa im Rheinland).

Die erste Kunstschutzverordnung, die im 1803 zum Kurstaat erhobenen Hessen-Kassel erlassen wurde, verdankt ihre Entstehung einer durchaus denkmalzerstörenden Unternehmung. Bei einer im August 1827 im Auftrage des Kurfürsten Wilhelm II. durchgeführten Reise zur Beschaffung von mittelalterlichen Glasmalereien für die Ausstattung der neumittelalterlichen Löwenburg fand der Kasseler Archivdirektor Christoph Rommel in den hessischen Kirchen und Klöstern nur so karge Reste von Glasmalereien und überhaupt alle Dinge in so vernachlässigtem Zustand, daß er seinem Landesherrn den Erlaß einer Verordnung zur Erfassung und Erhaltung der noch im vorhandenen Denkmäler der Kunst und Schrift empfahl. Die Verordnung wurde am 17. August 1827 beschlossen und schrieb u. a. vor, daß die Kreisräte jährlich über den Zustand der vorhandenen und die Auffindung neuer Denkmäler zu berichten hatten. Die hessischen Kreisräte waren für derartige Anforderungen jedoch nicht ausgebildet und dementsprechend mager waren die Ergebnisse der Aktion.

Am 27. Juli 1835 wurde von Staatsminister Ludwig Hassenpflug erstmalig eine Verfügung erlassen, die nicht nur die Erfassung und den Schutz von Denkmälern befahl, sondern auch ihre Pflege und Sicherung gegen weitere Zerstörung zum Ziel hatte. Die Landbaumeister wurden verpflichtet, Verzeichnisse von den in ihren Bezirken vorhandenen Denkmälern, d. h. den Ruinen von "Burgen, Schlössern, Thürmen, Kapellen und sonstigen Gebäuden des Alterthums" einzuliefern. Diese Kampagne wurde erfolgreich durchgeführt; es entstand ein Gesamtverzeichnis, das über Ort, Besitzer, Erhaltungszustand und etwaige Reparatur- bzw. Sicherungskosten von insgesamt 65 Objekten Auskunft gibt. Einige davon (u. a. die Stiftskirche in Hersfeld, die Marienkapelle in Frankenberg und der Klosterturm von Burghasungen) wurden im Laufe der folgenden Jahre auf Staatskosten instandgesetzt.

Für die Verfügung von 1835 und die darauf folgende Kampagne galten nur Ruinen als Denkmäler; aufrechtstehende, ihrer ursprünglichen oder irgendeiner anderen Nutzung dienende alte Gebäude wurden nicht erfaßt. Das hat zwei Gründe: Zum einen waren damals nur funktionslos gewordene Bauten wirklich schutzbedürftig, zum anderen waren Ruinen schon seit langer Zeit um ihres historischen Wertes willen geschätzt und durch Publikationen von Männern wie K. W. Justi und später auch Georg Landau im Bewußtsein der Gebildeten als Denkmäler präsent.

In der im November 1866, kurz nach der Annexion Hessens durch Preußen erlassenen Verfügung des königlichen Administrators für Hessen, Oberpräsident Eduard von Möller, wurde die Inventarisation aller Denkmäler der Kunst und Architektur befohlen. Seiner Verfügung liegt der umfassende Denkmalbegriff zu Grunde, der im Laufe der vierziger und fünfziger Jahre  des vorigen Jahrhunderts von den in der Kunstwissenschaft und der Denkmalpflege tätigen Fachgelehrten entwickelt worden war.

Neben den geschilderten staatlichen Initiativen für Denkmalerfassung und Denkmalschutz in Kurhessen sind eine Menge von nicht-staatlichen Unternehmungen mit dem selben Ziele zu verzeichnen. Besonders der 1834 gegründete "Verein für hessische Geschichte und Landeskunde" machte sich die Sorge für die Denkmäler zur Aufgabe.

Sowohl der Verein als Gesamtorganisation als auch einzelne seiner Mitglieder, wie der Archivdirektor Christian von Rommel, der Historiker Georg Landau, der Architekt und Kunsthistoriker Friedrich Lange, der Chemiker und Kunsthistoriker Wilhelm Lotz und der Architekt und spätere Staatskonservator von Preußen Heinrich von Dehn-Rothfelser bemühten sich um die Erfassung und Beschreibung der Kunstdenkmäler Kurhessens.

Gleichzeitig strebten sie eine Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen des Denkmalschutzes und die Verankerung des Wertes der Denkmäler im Bewußtsein weiterer Kreise der hessischen Bevölkerung an. Chr. v. Rommel und G. Landau gingen eher nach den alten Prinzipien der Altertumskunde und der Historiographie vor, während F. Lange, W. Lotz und H. v. Dehn-Rothfelser sich die verfeinerten Methoden der Kunstgeschichte zu eigen machten.

F. Lange zum Beispiel war darauf aus, möglichst viele hessische Kunstobjekte einzeln und möglichst ganzheitlich zu erfassen. Das Gesamtbild der hessischen Architektur und ihrer Geschichte sollte sich aus der Summe von historisch untermauerten monographischen Studien ergeben. Sein Endziel war eine integrierte Geschichtsschreibung, in der die Kunstwerke als Quellen mit eigener Aussage benutzt werden sollten, und nicht eine von der Geschichte der Menschen abgetrennte Geschichte der Formen. Seine Inventarisationprojekte blieben jedoch unverwirklicht, weil er ab 1849 als Architekt und Denkmalpfleger mit der Durchführung von großen Restaurierungen in Haina, Marburg und Fulda beschäftigt war.

Im Laufe der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden mehrere verschiedenartige Inventarwerke, die in ganz Deutschland als beispielhaft gelobt wurden. Es waren dies die reich bebilderten drei Lieferungen der "Mittelalterlichen Baudenkmäler in Kurhessen" (1862, 1864 und 1866) von H. v. Dehn-Rothfelser und verschiedenen anderen Autoren, die "Kunsttopographie Deutschlands" von Wilhelm Lotz (1862/63) und schließlich die "Baudenkmäler im Regierungs-Bezirk Cassel" von W. Lotz und H. v. Dehn-Rothfelser.

Das letztgenannte Werk von W. Lotz und H. v. Dehn-Rothfelser fußte auf den 1866 durch den preußischen Oberpräsidenten E. v. Möller   angeforderten Denkmälerverzeichnissen der einstweilen aus kurhessischen in preußische Dienste übernommenen Landbaumeister sowie auf W. Lotz' Kunsttopographie. Es erschien 1870, vier Jahre nach der Annexion Hessens, finanziert vom preußischen Staate und herausgegeben vom hessischen Geschichtsverein. In dieses Inventar flossen alle in Kurhessen unternommenen Denkmälerinventarisations-Projekte ein - darum steht es am Ende der Geschichte der Denkmälererfassung in Kurhessen. Gleichzeitig ist es ein Produkt preußischer Kulturpolitik, denn ohne den Oberpräsidenten v. Möller und ohne das Geld aus der preußischen Staatskasse wäre es gewiß nicht zustande gekommen.

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