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Denkmale p. 3

Eigene Texte > 2002 > Denkmale

Bedeutung als bislang gesehen wurde, und zwar sowohl im nationalen als auch im internationalen Raum.
Die Cultural Heritage Sektion des Europarates strebt derzeit die Abfassung einer Entschließung an, in der die Baudenkmale bzw. das Kulturerbe der 41 Mitgliedsstaaten als Medium der demokratischen Verhandlung und Verständigung über die heutige Bewertung der zahlreichen zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Konflikte in der Geschichte Europas betrachtet wird. Über die gründliche Bearbeitung der Differenzen und Dissense, die im Kulturerbe, in Text und Subtext überliefert sind, soll das gewiß utopische Ziel eines politischen, sozialen und kulturellen Friedens aus der unerreichbaren in erreichbare Ferne gerückt werden.

Baudenkmale und Kunstwerke bieten sich als Verhandlungsmedium an, gerade weil sie, bei aller denkbaren Schönheit und Harmonie ihrer Form, nicht an sich harmoniehaltig und friedensstiftend sind. Sie sind im Gegenteil das Medium, das die Konflikte der Geschichte, denen die Objekte ihre Entstehung und Formung gewöhnlich verdanken, in sich bewahrt und für die Gegenwart vorhält. Dazu gehören auch die Interpretationen, die wissenschaftlichen Diskurse und die politischen Inanspruchnahmen, die über die Zeiten mit den Denkmalen verbunden wurden. Diese zu erkennen und im Hinblick auf dem Umgang mit dem Denkmal zu deuten, bedarf der besonderen Fähigkeit der Denkmalpfleger, Bauwerke in ihrer künstlerischen Geformtheit und im Tiefgang ihrer Bedeutungsschichten zu „lesen". Und freilich gibt es wiederum nicht nur eine einzig richtige Lesart.

Damit sind wir wieder bei der Streitseite der Denkmale angelangt. Die Debatten werden voraussichtlich umso hitziger werden, je stärker die im kulturellen Gedächtnis tradierten Gruppenidentitäten in Frage gestellt werden. Dies ist ein erwünschter Effekt, der bei sachkundiger Moderation große integrative Schubkraft entfalten kann. Im Juni dieses Jahres veranstaltet der Europarat in Straßburg ein Seminar zu diesem Themenkomplex,der auch dieFrage nach der Anerkennung der droits culturels de l'hommeumfassen wird.

Das Kulturerbe Europas soll eben nicht als Inventar von Objekten definiert werden, vielleicht gar der architektonischen Spitzenleistungen in allen Baugattungen in allen Ländern. Es soll sich als gemeinsames Projekt der aktiven Verständigung über die in das Kulturerbe eingeschriebenen Leistungen und Konflikte darstellen, mit dem Ziel, Differenzen nicht aufzulösen, sondern als Teil der Sache zu begreifen. Es wäre zu diskutieren, ob der Ansatz zumindest teilweise auf die Länder Lateinamerikas übertragen werden kann.

Das schließt keinesfalls aus, daß wir uns, wie eingangs geschildert, gemeinsam oder getrennt an den Schönheiten der Werke erfreuen, auf Reisen gehen, um das Erbe der Nachbarn zu bewundern, oder gar um die Welt fliegen, um die als Weltkulturerbe klassifizierten Stätten zu besuchen. Diese Art von globalem Denkmaltourismus erzeugt, für sich genommen, jedoch keinen kritischen Diskurs und stellt keine Abgrenzungen in Frage. Darum sollte es aber gehen.

Gabi Dolff-Bonekämper

Eine erste Publikation des Europarates zu diesem Thema, in französischer und englischer Sprache,„Prospective: Fonctions du patrimoine culturel dans une Europe en changement", kann bei der Cultural Heritage Section des Europarates in Straßburg angefordert werden.



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