Akademie der Künste
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Denkmale und kulturelles Gedächtnis
nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation
Internationale Tagung vom 18. bis 22. November 1998
Beim internationalen Kunsthistorikertag des Comité International
d’Histoire de l’Art (CIHA) in Amsterdam 1996, der dem Thema „Memory and
Oblivion" gewidmet war, beschlossen Wissenschafter/innen aus USA, Canada,
Holland und Deutschland, eine eigene Veranstaltung vorzubereiten, die ganz
auf Denkmale der Moderne, genauer: der Zeit nach dem 2. Weltkrieg konzentriert
sein soll. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ist der Blick auf Denkmalprojekte
in ganz Europa frei geworden, die gängigen Urteile über die jeweiligen
stilistischen und (kunst)politischen Fixierungen in Ost und West können
und sollen überprüft werden. Die Analyse der Denkmalpolitik früherer
politischer Gegner ist geeignet, die Verständigung über kulturelle
Gemeinsamkeiten und Differenzen in Europa voranzubringen. Dieser wissenschaftlichen
und politischen Herausforderung wollen wir uns stellen. Außereuropäische
Beispiele werden zur Klärung der stilistischen und gesellschaftlichen
Strömungen herangezogen.
Fragen nach dem jeweiligen Wechselverhältnis zwischen bildhaften Denkfiguren
(Topoi), nationalen oder Gruppen-Erzählungen, und dem stets aktualisierten
kulturellen Gedächtnis der Nationen und Gruppen werden die Untersuchung
der Denkmale leiten. So ergibt sich für die Tagung eine systematische
Grundstruktur, die über Länder- und Blockgrenzen hinweggreift.
Figürliche und abstrakte, erzählende und zeichenhafte sowie konzeptuelle
künstlerische Verfahren sollen gleichberechtigt nebeneinander betrachtet
werden. Wir wollen aber nicht nur Skulpturen oder skulpturale Rauminstallationen
analysieren, sondern auch herausragende Beispiele der Bau- und Ingenieurbaukunst,
die entweder von Anfang an oder durch spätere Zuschreibungen Denkmalcharakter
gewonnen haben. Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie dies gemeint
ist:
Staatsgründung/Demokratie/Verfassung
In den Staaten Westeuropas besteht seit längerem eine Tradition der
bildhaften Selbstverständigung über die historische Legitimität
der gewählten Regierungen. In Osteuropa sind, nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion, eine Reihe von Staaten neu- oder wiedergegründet
worden, die sich nun auch mit Denkmalsetzungen oder mit der Neuaneignung
und ggf. Umdeutung bestehender Denkmale ein Bild von ihrem Gemeinwesen
machen wollen. Folgende Denkmale könnten betrachtet werden:
Tschechien: die Prager Burg als Regierungssitz (von Plecnik
für die erste Republik umgebaut)
Ungarn: "Parzelle 301" Denkmal für die Opfer des
Aufstandes von 1956 von Jovánovics (1992 eingeweiht), eventuell
im Vergleich mit Imre Vargas Denkmal für den ersten Parlamentspräsidenten
nach dem 2. Weltkrieg
Frankreich: die Grands Projekts in Paris (die Grande Arche de
la Défense, die neue Bibliothèque Nationale, der Grand Louvre
etc.)
Deutschland: das Bundesforum in Bonn und die neuen Regierungsbauten
in Berlin
Estland, Lettland, Litauen: die neuen/alten Regierungsbauten
USA: die Mall in Washington, mit Skulpturen, Museen und Freiräumen
Israel: der Berg Herzl mit Herzl-Gedenkstätte und Yad Vashem
Verschwinden/Vernichtung
In den Vernichtungslagern des NS - und auch im Krieg - sind unzählige
Individuen buchstäblich verschwunden, ihre Körper sind verbrannt
oder sonst unauffindbar. In Denkmalen und Gedenkstätten wird das Verschwinden
der Menschen entweder direkt thematisiert, oder durch (heroisierende oder
tröstende) Bildwerke überblendet. Korrekturen an den Grundaussagen
der älteren Gedenkstätten sind denkbar, vielleicht sogar nötig.
Folgende Denkmale könnten betrachtet werden:
Frankreich: das Monument aux Déportés in Paris
(Pingusson, 1962)
Deutschland: Buchenwald, Dachau
Polen: Auschwitz, der Wettbewerb von 1956 und die Folgen
Spanien/Frankreich: Dani Karavans Denkmal für Walter Benjamin
Deutschland: Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin
- die "voids" und der Holocaust-Tower.
Landgewinn/Landnahme
Die Sicherung der Landesgrenzen und die Urbarmachung der Erde sind die
Basis für Errichtung und Fortbestand eines Staatswesens. Technische
Bauwerke und andere "zivile" moderne Strategien zur Sicherung des Staatsterritoriums
beziehen ihr Pathos aus diesem Grundmuster. Folgende Denkmale könnten
betrachtet werden:
Niederlande: Das neue Sperrwerk in der Maas-Mündung vor
Rotterdam (Landgewinn durch Küstenschutz)
GUS (ehem. UdSSR): Die transsibirische Eisenbahn; die Raumfahrt
als Eroberung des Himmels, Gagarin-Denkmale
Israel: Ben Gurions Haus im Negev (die Urbarmachung der Wüste)
Türkei: Atatürks Musterfarm von 1932
USA: Der Arch to the West in St Louis, 1947-1964 (Jefferson
National Expansion Memorial)
Die Aufzählung der Denkmale ist als Denkanstoß gemeint, wir
gehen nicht davon aus, daß sie alle bearbeitet werden können.
Wir wollen fragen, was die Denkmale über die Organisation und die
Inhalte des kulturellen Gedächtnisses aussagen, welche Erzählungen
über Nation, Region oder Gruppe sie aufgreifen, modifizieren oder
neu erfinden. Dabei ist es uns wichtig, nicht nur die großen nationalen
Erzählungen in Haupt- und Staatsdenkmalen zu betrachten, sondern auch
gruppenbezogene, möglicherweise widerständige Denkmalprojekte
von Unten einzubeziehen, auch wenn die Objekte selber nur unscheinbar oder
temporär sind bzw. waren. Unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses
fassen wir, mit dem Ägyptologen Jan Assmann, den jeder Gesellschaft
eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten
zusammen, in deren 'Pflege' sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt,
ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich)
über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von
Einheit und Eigenart stützt. Die in den Denkmalen erkennbaren Topoi
und Erzählungen bedürfen der institutionalisierten Kommunikation,
ohne die ihr Wiedergebrauch nicht organisiert werden kann. Daher fragen
wir nicht nur nach Geschichte, Form und Bedeutung der Denkmale als Artefakte,
sondern auch nach der Geschichte ihres Gebrauchs und Wiedergebrauchs.
Veranstalter, Teilnehmer/innen, Organisation
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Die Tagung wird von der Akademie der Künste in Berlin veranstaltet,
in Zusammenarbeit mit Gabi Dolff-Bonekämper, Peter Feist, Hans-Ernst
Mittig, Bernd Nicolai, Jochen Spielmann (alle Berlin) und Edward van Voolen
(Amsterdam). Assoziiert sind Hélène Lipstadt (Belmont, USA),
Harriet Senie (New York, USA) und Shelley Hornstein (Toronto, Canada).
Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch dem 18. November und endet am
Sonntag dem 22. November 1998, am Freitag wird eine Besichtigungstour durch
die west-östliche Berliner Denkmallandschaft veranstaltet. Die Anzahl
der Referate ist auf sechs pro Tag beschränkt, damit reichlich Zeit
zum Diskutieren bleibt. Zusätzlich wird den Teilnehmern die Möglichkeit
angeboten, auf mitgebrachten Postern Denkmale zu präsentieren, die
nicht in Referaten thematisiert werden können.
Die Teilnehmer/innenzahl wird auf 60 beschränkt sein, ein größerer
Anteil der Plätze wird durch die Referentinnen und Referenten eingenommen,
weitere Teilnehmer/innen werden eingeladen.
Eine Matinee und eine Abendveranstaltung sind als öffentliche
Veranstaltungen für ein größeres Publikum gedacht. Die
Publikation der Tagungsbeiträge und Ergebnisse in der Schriftenreihe
der Akademie der Künste ist vorgesehen.
Gabi Dolff-Bonekämper
Oktober 1997
Datum der letzten Änderung:
27. Juni 1998 und 18. Mai 2009